„Wir wünschen uns höhenverstellbare Pflegebetten“: Berliner Stadtmission bittet um Spenden für obdachlose Rollstuhlfahrer

2022-12-21 15:44:45 By : Mr. Spring Shao

Die Traglufthalle am Ostbahnhof ist die einzige behindertengerechte Notunterkunft in Berlin. Sie braucht dringend neue Betten. Der Tagesspiegel bittet um Spenden.

Boris (Name geändert) bekommt natürlich die Drei, er erhält jeden Abend die Drei. Boris, der Lette, ist Stammgast in der Traglufthalle am Ostbahnhof, deshalb ändert sich die Zahl seines Betts auch nicht. Andere Obdachlose, die unregelmäßig auftauchen, müssen auf ein freies Bett erstmals warten.

120 Plätze hat die Notunterkunft der Stadtmission, seit zehn Minuten ist sie geöffnet, noch ist sie fast leer. Aber draußen, in der kalten Dezembernacht, haben sie sich schon angestellt, die Wärme lockt.

Doch jetzt kann Boris seinen Rollstuhl fast unbeachtet durch die Halle schieben, vorbei an einer Tischtennisplatte, einem blauen Sofa, einem Sonnensegel, dem Bücherregal, auf dem ein Pinguin aus Glas steht, den man beleuchten kann, und vorbei natürlich an der lang gezogenen Theke mit dem Kartoffelsalat, der Suppe, den Würstchen und dem Brot.

Boris rollt zur Behindertentoilette am Ende des Gangs Es gibt nur eine solche Toilette, aber immerhin. Laut internem Plan der Stadtmission sind fünf Rollstuhlfahrer pro Nacht die ideale Zahl. Sie müssen oft auch betreut werden. Aber die Temperaturen orientieren sich nicht an den Wünschen der Stadtmission: Wenn es kalt ist, kommen mehr Rollstuhlfahrer.

Wo sollen sie denn auch sonst hin? Die Traglufthalle ist die einzige Notunterkunft in Berlin mit barrierefreiem Zugang. Ein paar Tage später wird die Traglufthalle wegen eines technischen Defekts zusammenfallen. Da fehlt den Rollstuhlfahrern die Wärmestube. Kurz darauf ist die Halle aber wieder in Betrieb.

Boris hat seine Winterjacke ausgezogen, er trägt einen grauen Kapuzenpullover, auf dem „Los Angeles“ geflockt ist. Seine Beine stecken in einer blauen Adidashose, er schiebt die Reifen seines Stuhl mit kräftigen Bewegungen; seine Oberarme wirken muskulös.

Die Menschen müssen ohne akrobatische Übungen ins Bett kommen können

Das ist genauso wichtig wie die sichere Nummer des Betts. Boris kann sich selber aus dem Rollstuhl stemmen, er kann sich mühsam selber ins Bett legen, und morgens braucht er keine Hilfe, um wieder in seinen Rollstuhl zu kommen. Aber andere Rollstuhlfahrer können das nicht, und genau deshalb bittet die Stadtmission so dringend um Spenden der Tagesspiegel-Leser.

Christina Grundke sitzt in der Nähe des Eingangs, sie hat verfolgt wie Boris zur Toilette gerollt ist, jetzt sagt sie seufzend: „Unser großer Wunsch sind Pflegebetten, die höhenverstellbar sind.“ Sie wären auch für alle Mitarbeiter in der Notunterkunft eine enorme Erleichterung.

Bislang stehen in den Kabinen normale Doppelbetten, so wie man sie von Jugendherbergen oder von der Bundeswehr kennt. Das untere Bett endet nur knapp über dem Fußboden. Man fällt eher rein als dass man sich reinlegt. Wie soll da ein Rollstuhlfahrer problemlos ins Bett kommen? Bei der Stadtmission gibt es noch eine Regel: Ein Gast muss eigenständig ins Bett kommen und auf die Toilette gehen können. Die schiere Verzweiflung diktiert diese Regel.

„Unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen“, sagt Christina Grundke, „sind nicht dafür ausgebildet, solchen Menschen aktiv und fachgerecht zu helfen. Sie wissen nicht, wie man sie fachgerecht anfasst und ins Bett oder aus dem Bett bringt. Sie wissen auch nicht, wie man sie fachgerecht auf die Toilette setzen kann.“

Barbara Breuer, die Sprecherin der Stadtmission, steht neben Grundke, sie kennt das Problem. „Wir möchten ja nicht, dass sich jemand verletzt. Wir brauchen die Möglichkeit, dass wir diese Menschen ins Bett ohne akrobatische Übungen ins Bett bringen können.“

Denn natürlich helfen die Mitarbeiter im Zweifelsfall, natürlich ersetzt der Wille zur Fürsorge die Angst vor dem falschen Handgriff. Aber das kann ja auch Dauer keine Lösung sein. Die Lösung heißt Pflegebetten.

Diese haben Rollen, sie sind höhenverstellbar. „Damit“, sagt Christina Grundke, „können die Menschen ziemlich problemlos selber ins Bett gehen und wieder aussteigen. Sie müssen sich bloß die richtige Höhe einstellen.“

Außerdem kann man an einem Pflegebett von beiden Seiten arbeiten, wenn trotzdem Hilfe für den Menschen nötig ist. „Es geht nicht auf Dauer, dass wir allen betroffenen Menschen auf die bisherige Weise helfen“, sagt Christina Grundke, „das ist sehr anstrengend.“

Genau deshalb gibt es ja schon eine Art Frühkontrolle. Im Eingangsbereich, dort wo die Nummern der Betten ausgegeben werden, haben Mitarbeiter eine besondere Bitte an die Gäste: „Bitte stützen Sie sich etwas auf.“

Bei der Jubiläums-Weihnachtsspendenaktion „Menschen helfen!“ bedenkt der Spendenverein des Tagesspiegel insgesamt 33 mildtätige und gemeinnützige Projekte. Einige davon stellen wir in unserer Spendenserie bis Weihnachten vor. Der Tagesspiegel unterstützt seit 30 Jahren das soziale Berlin, Brandenburg und die Welt.

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Wer den Test nicht besteht, kann sich erkennbar nicht selber ins Bett hieven. Aber letztlich bleibt der Test eine symbolische Geste. Wer ihn nicht schafft, wird natürlich nicht in die Kälte zurückgeschickt. „Und mitunter“, sagt Barbara Breuer, „sagen auch Rollstuhlfahrer, „sie könnten sich einigermaßen selber helfen, aber dann stellt sich heraus, dass es nicht stimmt.“

Auf jeden Fall ist gerade in kalten Nächten nicht bloß die Zahl der fünf Rollstuhlfahrer, die planmäßig in der Halle Platz finden, schnell überschritten. Kein Obdachloser wird abgewiesen. Dann sind nicht 120 Menschen in der Wärme, sondern 140.

Und dann, sagt Barbara Breuer und bettet ihren Kopf auf eine imaginäre Tischplatte, „dann müssen die Menschen eben im Essbereich schlafen.“ Kopf auf dem Tisch. Rollstuhlfahrer nächtigen dann in ihrem Gefährt. Es gibt sogar Rollstuhlfahrer, die wollen von vornherein gar kein Bett, warum auch immer.

Es ist 20.40 Uhr, schon jetzt sind vier Rollstuhlfahrer da, gerade kommt ein weiterer. Glatzkopf, schwarze Jacke, Tasche auf den Knieen. Bedächtig packt der Mann den Inhalt aus, irgendwann hat er auch einen Kopfhörer in der Hand.

Alles okay, kein Alkohol, keine Waffen, keine Drogen, er darf die Tasche mit in seine Kabine nehmen. Wer sein Gepäck in einem Extrabereich abgibt, erhält eine Nummer und bekommt seine Sachen am nächsten Morgen wieder.

Am liebsten hätte Christina Grundke ja 14 Pflegebetten. Der Bedarf ist da. In Berlin gibt es zwar ein durchaus breites Angebot an Notübernachtungsplätzen, aber keine 20 davon sind für Rollstuhlfahrer auch nur annähernd geeignet.

Für die Pflegebetten müsste man natürlich auch entsprechendes Fachpersonal einstellen, aber das ist nicht vorhanden. Leichter zu verwirklichen wären neue, größere Kabinen. In den bisherigen Boxen wäre kein Platz für jeweils zwei Pflegebetten.

„Das ginge auf Kosten anderer Plätze“, sagt Christina Grundke, das Problem gibt sie zu. „Aber ich mache mir keine Gedanken, dass diese 14 Betten immer besetzt wären.“ Doch die Pflegebetten sind lediglich ein Teil der Lösung.

Christina Grundke blickt wieder einem Rollstuhlfahrer nach, der zur behindertengerechten Toilette rollt. Er kommt nicht so schnell voran wie Boris eine Stunde zuvor. Jetzt wuseln viel mehr Menschen durch die Halle.

Ideal, sagt Christina Grundke, „wäre eine Nasszelle pro Kabine mit Pflegebetten“. Rollstuhlfahrer erfordern ja in vielerlei Hinsicht eine besondere Betreuung. „Wenn man den ganzen Tag draußen ist, hat man keine Möglichkeit auf die Toilette zu gehen“, sagt Barbara Breuer. Die erste Chance besteht am Abend in der Traglufthalle. Aber manchmal ist es einfach auch zu spät. Dann ist der Betroffene bereits eingekotet, wenn er durch die Luftschleuse der Halle rollt.

Und nun kommen Würde und Scham ins Spiel. „Es muss ganz sicher nicht so sein, dass solche Menschen in diesem Zustand Schaulaufen quer durch die ganze Halle bis zur Toilette machen müssen“, sagt Christina Grundke. Mit mehr Toiletten bliebe ihnen so eine beschämende Tour erspart.

Gleich neben dem Eingang geht es rechts in einen langgezogenen Gang zwischen den Kabinen. Dort, am Ende, könnte man zumindest eine Nasszelle einbauen. Jetzt müssen sich die Rollstuhlfahrer in einem kurzem Zeitraum auf der einzigen verfügbaren Toilette, in der zugleich das Bad ist, hektisch frisch machen.

Zumindest eine zweite behindertengerechte Toilette, getrennt für Männer und Frauen, das wünscht sich Christina Grundke. Das wäre eine enorme Erleichterung für jene Menschen, die gut abgeschirmt im hinteren Teil der Halle nächtigen.

Es gibt 14 Schlafplätze für Frauen, viele halten so gut wie möglich Abstand zu Männern. Emotional stoßen sie an ihre Grenzen, wenn sie die gleiche Toilette wie Männer nutzen müssen. „Viele haben traumatische Erfahrungen mit Männern hinter sich“, sagt Christina Grundke.

Boris, der Lette, fühlt sich dagegen jetzt, gegen 21 Uhr 30, sichtlich wohl. Er sitzt unter einem riesigen Sonnensegel an einem Biertisch und taucht genüsslich seinen Löffel in die Suppe. Er muss sich um einen warmen Platz in der Nacht keine Sorgen machen. Morgen Abend wird er wiederkommen. Und er wird wieder in seinem Bett schlafen. Bett Nummer drei.

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